Räumungs Heft Dieti -ReadMe-

Inhaltsverzeichnis

1. Was kann dir vorgeworfen werden?                                                                                            3

2. Personalienverweigerung                                                                                                            5

2.1 Rechtliche Voraussetzungen für eine Identitätsfestellung                                                         5

2.2 Vor- und Nachteile von Personalienverweigerung                                                                    6

2.3 Auf der Wache: Wie lange?                                                                                                       7

2.4 Auf der Wache: Der Ablauf                                                                                                       7

2.5 Auf der Wache: Deine Rechte                                                                                                   9

3. Sonderfall: U-Haft                                                                                                                       10

4. Care                                                                                                                                              11

1. Was kann dir vorgeworfen werden?

Grundsätzlich wird unterschieden zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Eine Straftat wird vom Gesetz als relativ schwerer Verstoß gegen die Rechtsordnung gewertet, z.B. Diebstahl. Ordnungswidrigkeiten sind dagegen nur kleine Verstöße, die sind nicht ganz so schlimm, z.B. Falschparken. Die meisten für uns relevanten Straftaten stehen im Strafgesetzbuch (StGB). Darüber hinaus ist v.a. das Versammlungsgesetz des Bundes relevant, auch das enthält ein paar Vorwürfe. Relevante Ordnungswidrigkeiten sind verteilt über verschiedenste Gesetze.

Die folgenden Straftatsvorwürfe können dir bei der Räumung begegnen. Es ist dabei wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass Cops nicht mehr Plan von Jura haben als Ihr. Die werden sich irgendwelche Vorwürfe ausdenken und euch vorsetzen, egal, ob es tatsächlich eine realistische Chance auf eine Verurteilung gibt. Ihr solltet euch davon nicht beeindrucken lassen.

Wichtig: Die folgende Auflistung ist weder vollständig, noch soll sie eine Rechtsberatung darstellen. Außerdem ist sie auf den Kontext einer Räumung zugeschnitten und deshalb z.B. auf Straßenblockaden nicht anwendbar. Stellenweise sind Dinge aus Verständnisgründen so vereinfacht, dass Jurist_innen beim Lesen ein “Also eigentliiich” rausrutschen würde. Wir bitten euch deshalb, die Infos nur als Orientierung zu verstehen. Wenn Ihr konkrete Fragen habt, sucht die Antworten nicht hier, sondern wendet euch an eine Rechtsberatung. Anyway, here’s the Vorwürfe:

  • Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB):
    • Aktionen, die über die reine Anwesenheit von Menschen hinausgehen, z.B. durch Anketten, Ankleben, Einhaken oder aktiven Widerstand gegen das Wegtragen
    • Passives Wegtragen, Hocke-Stellung usw. sind kein Widerstand.
    • Besonders schweren Widerstand (→ höhere Strafe) begeht Ihr, wenn Ihr,
      • gemeinsam Widerstand leistet (z.B. durch gemeinsames Lock)
      • einen anderen in die Gefahr des Todes oder einen schweren Gesundheitsschädigung bringt
      • einen gefährliches Werkzeug mit euch führt (Brotmesser reicht)
    • Standard-Vorwurf, wenn Ihr Cops verklagt oder Ihnen nichts besseres einfällt
  • Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§114 StGB):
    • der physische Angriff auf Vollstreckungsbeamte, d.h. jede vermeintlich gewaltsame Bewegung in Richtung des anderen Körpers, z.B. ein Schubsen, Schlagen oder Treten. Es muss hierbei nicht zu Schmerzen oder Verletzungen kommen, um den Tatbestand zu erfüllen.
    • Wird gerne mal konstruiert, v.a. wenn die Polizei selbst brutal handelt.
    • Besonders schwerer tätlicher Angriff: selbe Fallgruppen wie bei Widerstand
    • Höheres Strafmaß bei gemeinschaftlicher oder bewaffneter Begehung
    • Erfahrungen aus dem Rheinland: Bei dem Vorwurf wurde häufiger Untersuchungshaft verhängt, vorallem für Menschen mit Wohnsitz im Ausland. Wurde der Vorwurf als erwiesen angesehen, kamen meistens Bewährungsstrafen bei heraus.
    • Taucht in Klimakontexten eher selten auf
  • Landfriedensbruch (§112 StGB):
    • Landfriedensbruch ist der juristische Begriff für so etwas wie „Krawall“, „riot“ usw. Um diesen Vorwurf vor Gericht halten zu können, muss dir nachgewiesen werden können, dass du dich innerhalb einer Gruppe gewaltsam gegen Menschen oder Dinge verhalten hast oder solche Handlungen der Menschenmenge unterstützt hast. Den Vorwurf gibts v.a. bei Black Blocks.
    • Taucht in Klimakontexten eher selten auf.
  • Nötigung (§ 240 StGB):
    • Gibts regelmäßig für Sitzblockaden, aber auch bei Lock-On-Aktionen
    • Standard-Vorwurf
  • Sachbeschädigung (§ 303 StGB):
    • Gibts für Sprayen, Luft aus Autoreifen lassen, Sachen kaputt machen, etc.
    • Theoretisch denkbar bei Stickern, aber recht selten, dass es da rausgeholt wird
    • Wichtig: Du wirst zivilrechtlich für die Schäden belangt, und das wird oft recht teuer. Deutlich teurer als die Strafe.
  • Verstoß gegen das Vermummungs-, Uniformierungs- bzw. Bewaffnungsverbot (§ 27 VersG):
    • Gibts, wenn du mit Mumme, im Black Block, oder halt mit Waffen auf einer Demo rumhängst
    • Taucht immer wieder auf, wird aber oft nicht verfolgt, wenns alle machen, weil es dann zu viel auf einmal für die Bullen wird
  • Hausfriedensbruch (§ 123 StGB):
    • Eindringen bzw. Verweilen auf einem fremden Grundstück
    • Gilt im Dieti erst, wenn das zu rodende Grundstück umzäunt ist und eine berechtigte Person, also z.B. Eigentümeri und Vertreter_innen, zB. durch Vertrag berechtigte Sicherheitsdienste, (Bullen sind in der Regel nicht berechtigt!) euch sagt, dass Ihr gehen müsst.

Außerdem kommen u.a. folgende Ordnungswidrigkeiten in Betracht. Die können nur dann rechtskräftig werden, wenn nicht gleichzeitig (d.h. tateinheitlich) eine Straftat verurteilt wird. Das heißt: Wenn euch z.B. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen wird, dann tritt die Ordnungswidrigkeit dahinter zurück.

  • Nichtangabe von Personalien (§ 111 OwiG, Ordnungswidrigkeitengesetz)
    • Gibts, wenn man Personalien verweigert.
    • Wird selten tatsächlich verfolgt
  • Verstoß gegen das Landeswaldgesetz Bawü (§ 89 LWaldG Bawü)
    • Gibts z.B., wenn Ihr Schaukeln, Baumhäuser u.ä. in den Wald baut
  • Leitung einer unangemeldeten Versammlung (§ 29 VersG)
  • Nicht Entfernen von einer aufgelösten Versammlung (§ 29 VersG)

2. Personalienverweigerung

Personalienverweigerung bedeutet, der Polizei weder euren Namen, noch eure Adresse, euren Geburtsort oder irgendwelche anderen persönlichen Daten zu geben, wenn sie euch danach fragen. Gegenüber dem EA gibst du dann deine EA-ID-Nummer oder ein Pseudonym an. Dieses Kapitel soll euch bei der Entscheidung helfen, ob das das richtige für euch ist.

2.1 Rechtliche Voraussetzungen für eine Identitätsfestellung

Voraussetzung für eine Identitätsfestellung ist gem. § 163b der Strafprozessordnung (StPO), wenn der Person eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorgeworfen wird (oder wenn eure Identität wichtig ist, zur Aufklärung einer Straftat, z.B. ihr seid Zeugen), oder zur Gefahrenabwehr (§ 27 PolG Bawü (Polizeigesetz Badenwürthemberg)) zulässig, wenn also die Polizei denkt, ihr wollt irgendetwas anstellen (auch wenn ihr euch an einem Ort aufhaltet: von dem die Polizei ausgeht, dass dort Straftaten verabredet/vorbereitet/verübt werden; Personen ohne erforderlichen Aufenthaltstitel sich treffen, Straftäteris sich dort verbergen…. es gibt noch einige weitere Gründe, vgl. § 27 Abs. 1 PolG Bawü).

Innerhalb einer Demonstration darf die Polizei keine Personalien nach dem Polizeigesetz feststellen (sog. Polizeifestigkeit von Versammlungen, vgl. BVerwG,Beschluss vom 16. November 2010 – 6 B 58.10 – juris Rn. 6). Sie darf die Kontrolle aber auf § 163b der Strafprozessordnung stützen. Wenn du also einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verdächtig bist, dann gibt es eine Rechtsgrundlage für die Feststellung deiner Personalien. Du hast aber auch bei rechtswidrigen Personalienfeststellungen grundsätzlich eine sog. Duldungspflicht, d.h. du musst laut Gesetz die Maßnahme tolerieren.

Bei einer Kontrolle angeben müsstest du laut Gesetz:

  • Vor- und Nachnamen
  • Geburtsort und -tag
  • Familienstand (ledig, verheiratet, …)
  • Berufszugehörigkeit (Arbeitnehmeri, arbeitslos, Studi, …)
  • Wohnort
  • Staatsangehörigkeit

Das meiste davon steht auf dem Personalausweis. Den wollen sie eigentlich immer sehen. Wenn du den nicht mit hast, kannst du die Angaben zwar auch mündlich machen. Die Polizei nimmt dich dann aber oft “zur Sicherheit” mit auf die Wache. Deshalb gilt grundsätzlich die Empfehlung, wenn du das Risiko für einen Aufenthalt in der GeSa (Gefangenensammelstelle, meistens die größte Polizeiwache der Stadt) minimieren willst: Wenn du in Aktion gehst und Personalien angeben möchtest, hab ein gültiges Ausweisdokument dabei. Der Reisepass geht auch.

Dass die Cops deinen Ausweis sehen wollen, heißt nicht, dass du es ihnen leicht machen musst. Wenn du dich zusammen mit anderen entscheidest, die Personalien anzugeben, könnt Ihr das beispielsweise auch machen, indem ihr alle Ausweise erst einsammelt und der Polizei als Bündel übergebt oder durcheinander auf den Boden werft. Das macht eine Einzel-Zuordnung schwieriger, ist also Sand im Getriebe der Cops, und Ihr könnt Euren Spaß haben, während die Polizei versucht, euch richtig zuzuordnen.

Es gilt auch für EU-Bürger_innen und ihre Angehörigen (§ 8 Abs. 1 des Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG-EU)) genauso wie für Menschen ohne Pass eines EU-Landes (§ 48 AufenthaltG) grundsätzlich keine Mitführungspflicht für Ausweisdokumente im Alltag (vgl. auch AG Dessau-Rossau – 13 OWI 329/11). Die Polizei sieht das aber oft anders. Weil nicht-deutsche Menschen sowohl rechtlich als auch durch die Polizei allgemein einem stärkeren Risiko für Diskriminierung ausgesetzt sind, gilt die Empfehlung hier besonders, ein Ausweisdokument dabei zu haben. Privilegierten Menschen möchten wir nahe legen, nicht einfach daneben stehen, wenn sie solche Kontrollen beobachten.

2.2 Vor-und Nachteile von Personalienverweigerung

Personalienverweigerung hat verschiedene Vor- und Nachteile. Wir empfehlen zwar Personalienverweigerung, möchten aber betonen, dass wir das v.a. aufgrund persönlicher Erfahrungen tun. Vielleicht habt Ihr andere Erfahrungen gemacht als wir. Vielleicht sieht eure persönliche Situation anders aus als unsere. Unsere Erfahrungen sind nicht mehr als Empfehlungen. Der Maßstab für die Entscheidung ist in erster Linie euer persönliches Wohlbefinden. Was braucht Ihr, um am Ende mit einem guten Gefühl bzw. möglichst wenig Schaden aus der Aktion zu gehen? In die Entscheidung einfließen können weiter auch Solidarität mit anderen. Außenwirkung sollte wenn überhaupt nur eine geringe Rolle spielen. Ob Personalienverweigerung für euch das richtige ist, solltet Ihr am besten vor der Aktion entschieden haben, damit Ihr euch vorbereiten könnt.

Vorteile

  • Wenns klappt, bekommt Ihr danach kein Strafverfahren für was auch immer Ihr angestellt habt.
  • Verhindert in jedem Fall eine schnelle Abarbeitung durch die Polizei und schafft erheblich mehr Aufwand. → Je mehr Bullen ihre Zeit damit verbringen, euch irgendwie zu identifizieren, desto aufwändiger wird der gesamte Einsatz. Wenn sie sich mit den Kapazitäten verschätzt haben, müssen sie u.U. abbrechen, haben weniger Zeit, um Kids am Bahnhof auf Gras zu kontrollieren usw.
  • Manche Menschen sind wegen Vorstrafen, Risiko von Abschiebung o.ä. auf Personalienverweigerung angewiesen, um in Aktion zu gehen. Je mehr Menschen insgesamt Personalien verweigern, desto größer wird die Chance für jede einzelne Person, unidentifiziert rauszukommen, weil die Cops mit der Personenmenge schneller nicht zurecht kommen.
  • Falls Ihr euch noch in der Gesa umentscheidet, z.B. weil es euch zu stressig wird, dann könnt Ihr spontan zu jedem Zeitpunkt Personalien angeben.
  • Konsequentes Weiterdenken vom Konzept Aussageverweigerung

Nachteile

  • Es wird schwerer, im Nachhinein in der Öffentlichkeit zur Aktion zu stehen.
  • Beleidigung, Demütigungen, und wenn es schlimm kommt, körperliche Übergriffe auf Polizeistation können häufiger vorkommen, zum einem, weil sie wissen, dass ihr im Nachhinein nicht dagegen klagen könnt, ohne dafür eure Personalien anzugeben, aber sicher auch aus anderen Gründen (Cops provoziert von unkooperativem Verhalten, Autoritätskritik,…)
  • Man landet sicher auf der Gesa (, egal, ob irgendetwas vorgeworfen wird (bei Personalienangabe nach einer Straftat landet man nur sehr wahrscheinlich auf der Polizeiwache)
  • höheres Risiko auf Untersuchungshaft
  • Sollte die Identität dennoch festgestellt bzw. vermutet werden (z.B. durch Fotoabgleich, gefundener Versicherungskarte, Erkennen durch andere Polizistis o.ä.) ist die Verhängung eines zusätzlichen Bußgelds für die Identitätsverweigerung möglich (§ 111 OwiG, Ordnungswidrigkeitengesetz). Das kann aber nicht verurteilt werden, wenn Ihr in der selben Sache wegen einer Straftat verurteilt werdet (was meistens der Fall sein dürfte, wenn man denn schon Personalien verweigert).
  • Wenn man im Nachhinein identifiziert wird und vorher öfters Personalien verweigert hat, kann es u.U. vorkommen, dass dann mehrere Strafverfahren in einem kurzen Zeitraum auf eins zukommen (rechtlich besser als wenn sie über einen großen Zeitraum verteilt sind, weil dann die Gesamtstrafe geringer ausfällt, aber u.U. psychisch belastender).

2.3 Auf der Wache: Wie lange?

Kurze Antwort: Maximal zwei Wochen in Bawü.

Lange Antwort: Nehmen wir mal an, Ihr wollt Personalien verweigern. Dann darf die Person zur Feststellung der Identität (gründlich) durchsucht, in Gewahrsam genommen und/oder auf die Polizeiwache verbracht werden. Grundsätzlich gilt, dass die Polizei dich ohne richterlichen Beschluss nicht bis länger als Mitternacht des Folgetages festhalten darf, also maximal 47 Stunden und 59 Minuten. Wenn du z.B. Montag um die Mittagszeit festgenommen wirst, musst du Dienstag bis 24:00 Uhr freigelassen worden sein. Darüber hinaus darf die Polizei dich nur festhalten, wenn ein Richteri die Zulässigkeit der verlängerten Freiheitsentziehung beschließt. Die Höchstdauer dafür variiert je nach Bundesland. In Bawü sind das im Moment maximal zwei Wochen (§ 33 Abs. 3 PolG Bawü). Es dürfte aber kaum dazu kommen. Wenn doch, dann organisiert der EA euch ein Anwälti, das euch raus klagt. Unabhängig von etwaigen Höchstgrenzen gilt für die Gewahrsamsdauer nämlich der sog. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ihr müsst aus dem Gewahrsam entlassen werden, sobald der Grund für die Freiheitsentziehung wegfällt, oder wenn die Dauer der Freiheitsentziehung nicht mehr verhältnismäßig zur mutmaßlichen Schwere eurer Tat steht. Es gibt darüber hinaus noch weitere Abwägungskriterien.

Wenn man euch z.B. nur zur Personalienfeststellung mitgenommen hat, müsst Ihr freigelassen werden, sobald eure Identität feststeht oder alle Maßnahmen zur Identifizierung abgeschlossen sind, und das dauert selten länger als ein paar Stunden. Je länger das Gewahrsam dauern soll, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist. Ein Gewahrsam von mehr als drei, vier Tagen ist sehr häufig unverhältnismäßig. Ihr müsst das aber auch von einem Gericht feststellen lassen, wenn Ihr nicht die gesamte Zeit in der Polizeiwache verbringen wollt. Dazu legt Ihr Beschwerde gegen den Gerichtsbeschluss ein, oder lasst das ein Anwälti machen, das der EA euch vermittelt. Das könnt Ihr schriftlich (schwer aus der Gesa raus) oder mündlich zu Protokoll bei der Geschäftsstelle des Gerichts machen. Ihr könnt das auch mündlich aus der Gesa raus machen. Die Praxis dafür variiert, und oft muss man sich das erkämpfen, weil Bullen das nicht wissen. Es reicht, wenn Ihr hingeht und sagt “Ich erhebe Beschwerde gegen den Beschluss, auf dessen Grundlage ich festgehalten werde.” oder irgendetwas in der Art. Wenn Ihr das schriftlich macht, muss zusätzlich eure Unterschrift drauf – deshalb per Anwälti oder mündlich machen, wenns jemals so weit kommt.

2.4 Auf der Wache: Der Ablauf

Starten wir den Ablauf in der Aktion. Nehmen wir als Beispiel einmal an, dass du auf einem Baumhaus bist und Personalien verweigerst. Das ist nur ein durchschnittlicher, beispielhafter Ablauf. Der kann im Einzelnen natürlich variieren. Oft ist er aber gleich. Wenn dir eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorgeworfen wird und du in der Gesa landest, du aber Personalien angibst, dann kann es z.B. trotzdem zu einer ED-Behandlung (s.u.) kommen (die dann aber wahrscheinlich rechtswidrig ist). Für die Ingewahrsamnahme und die ED-Behandlung und derlei Maßnahmen kann die Polizei dir eine Rechnung schreiben.

  1. Die Polizei kommt unter dein Baumhaus und teilt dir mit, dass die Versammlung, von der du ein Teil warst, aufgelöst wurde. Dir wird mitgeteilt, dass du das Baumhaus verlassen und runter kommen sollst. Das tust du natürlich nicht. Daraufhin kommen zwei bis sechs Klettercops zu dir hoch, legen dir eine Sicherheitswindel an und lassen dich dann an einer Seilwinde zu Boden. Vielleicht darfst du deine Sachen mitnehmen. Vielleicht werden die auch separat runter gebracht und wenns ganz doof läuft, kommen sie gar nicht runter. Vielleicht wirst du bereits oben provisorisch durchsucht. Vielleicht passiert das erst unten.
  2. Unten wirst du dann an eine Einsatzgruppe der Polizei übergeben. Die durchsuchen dich, wenns noch nicht passiert ist. Vielleicht legen sie dir auch Fesseln an. Die werden dich dann auffordern, aufzustehen und mitzukommen. Vielleicht tust du das, vielleicht lässt du dich auch tragen. In jedem Fall wirst du zu einer dritten Einsatzgruppe gebracht, dem sog. Bearbeitungstrupp. Der ist dafür zuständig, deine Personalien aufzunehmen, dir Zettel mit Rechtsmittelbelehrungen (Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen alle Maßnahmen), Vorwürfen u.ä. in die Hand zu drücken und ggf. eine Fahrt in die Gesa zu organisieren. Außerdem kommt spätestens hier die Belehrung, dass du außer deinen Personalien keine Angaben zur Sache machen musst, und die Frage, ob du jetzt schon irgendwas aussagen möchtest. Du willst natürlich keine Aussage machen. Deshalb sagst du nichts. Hier gibst du keine dann auch keine Personalien an, denn die wolltest du ja verweigern. Dann wirst du in ein Polizeiauto oder einen GefKW (Gefangenenkraftwagen, basically ein Bus mit Einzelzellen) gesetzt und zur Gesa gefahren. Der ganze Prozess kann sich u.U. ziehen und mit ziemlich viel Warten verbunden sein. Deine Sachen werden vermutlich mit die Gesa gebracht. Ggf. musst du die Cops aber darauf hinweisen, dass sie die nicht vergessen.
  3. Es gibt theoretisch das Szenario, dass sie dich zur Gewahrsamsprüfung zum Amtsgericht bringen, wo dann ein Richteri entscheidet, ob und wie lange du festgehalten werden sollst. Gerade bei größeren Personenmengen oder bei sehr kurzen Gesa-Zeiten wird aber häufig darauf verzichtet.
  4. Irgendwann kommst du dann auf der Wache an. Die Dokumente, die der Bearbeitungstrupp über dich ausgefüllt hat, werden den zuständigen Cops dort übergeben. Du wirst erstmal in eine Zelle gesteckt.Irgendwann kommt dann ein Bulle und fragt dich nochmal, ob du irgendetwas zur Sache aussagen möchtest. Außerdem kommt es zu einer sog. erkennungsdienstlichen Behandlung (ED-Behandlung). Das heißt, es werden:
  5. Fingerabdrücke genommen
  6. Fotos von deinem Gesicht gemacht
  7. Fotos von Tattoos, Narben und anderen auffälligen Körpermerkmalen gemacht
  8. ggf. dein Gewicht und/oder deine Körpergröße gemessen

Danach wirst du wieder in deine Zelle zurück gebracht. Es kann passieren, dass du mehrmals ohne guten Grund aus deiner Zelle rausgeholt und wieder zurück gebracht wirst.

Die ED-Behandlung dient dazu, dich in Polizeidatenbanken wiederzufinden, falls du in der Vergangenheit schon einmal ED-behandelt wurdest. Außerdem soll es bei deiner Identifizierung helfen. Deine Bilder können z.B. auch durch die Google-Reverse-Bildersuche gejagt werden. Die Polizei wird versuchen, dich irgendwie wiederzufinden. Sie hat dabei zunächst keinen Zugriff auf die Daten, die auf deinem Personalausweis gespeichert sind, also dein Perso-Bild, ggf. deine Fingerabdrücke u.ä. Die liegen bei der Behörde, die dir deinen Ausweis ausgestellt hat, also meistens beim Bürgeramt der Stadt. Wenn die Polizei dort anfragt, dann müssen die die Daten rausrücken. Die Polizei muss aber erstmal wissen, bei welchem Amt sie fragen müssen. D.h. gerade dann, wenn euer Ausweis noch von einer Behörde aus einer anderen Stadt stammt, habt Ihr gute Chancen. Wenn Ihr in der Vergangenheit schon einmal identifiziert wurdet, dann liegen eure Daten u.a. bei INPOL, weil die Polizei sie dann rüber kopiert. Das ist die zentrale Datenbank vom Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern. Das senkt eure Erfolgschancen ein ganzes Stück, macht erfolgreiche Personalienverweigerung aber nicht unmöglich. Die Cops versuchen es manchmal außerdem mit An- und Abreisekontrollen bei Protesten in der Hoffnung, dass der Personalienverweigerer_innen dabei sind und dieses Mal Ausweisdokumente dabei haben.

  • In der Gesa werden außerdem Du und deine Sachen (ein zweites Mal) ausführlich durchsucht. Die Polizei sucht dabei einerseits nach Beweismitteln und anderen ermittlungsrelevanten Dingen. Sie ist dabei besonders geil auf Brotdosen, auf denen euer Name steht, Handys und alles andere, das sonst noch irgendwie mit eurem Namen verknüpft ist. Achtet also vorher darauf, dass Ihr nichts in der Richtung dabei habt. Achtet außerdem darauf, dass Ihr nichts dabei habt, wo es schade drum wäre, wenn das die nächsten drei Jahre im Keller der Polizeiwache verschwindet. Die ziehen alles mögliche “als für Ermittlungszwecke relevant” oder als Tatmittel ein.
  • Irgendwann wirst du dann entlassen. Man gibt dir die Sachen zurück, die du wieder mitnehmen darfst. Die Cops werden dir spätestens jetzt die Bestätigung vorlegen, dass du freigelassen wurdest. Die werden dir erzählen, dass du die unterschreiben musst, sonst dürften sie dich nicht gehen lassen. Dann lügen sie. Das solltest du nicht tun. Allgemein solltest du nichts unterschreiben. Das gilt auch für Beschlagnahmeprotokolle, Aussagebestätigungen oder sonstiges, und zwar unabhängig davon, ob du Personalien verweigerst oder nicht.

2.4 Auf der Wache: Deine Rechte

Du hast einige Rechte, während du in Polizeigewahrsam bist. Dazu zählen u.a.:

  • Recht auf angemessenen Zugang zu Hygiene (also Toilette, Menstruationsprodukte, einmal am Tag eine Dusche, …)
  • Recht auf mindestens einen erfolgreichen Anruf bei einem Anwalt
  • Recht auf mindestens einen erfolgreichen Anruf bei einer Person deines Vertrauens (→ EA anrufen!)
  • Recht auf angemessene Versorgung mit Wasser und Nahrung (ab einer gewissen Dauer)
  • Recht auf 45 Minuten Freigang am Tag, wenn du einen Tag oder länger festgehalten wirst
  • Recht auf Aussageverweigerung
  • Recht auf medizinische Versorgung, soweit notwendig

Die Rechte leiten sich größtenteils direkt aus den Grundrechten ab und sind durch Rechtsprechung gefestigt. Bawü hat anders als viele andere Bundesländer keine eigene Gewahrsamsordnung, die deine Rechte konkretisiert. Oft zählt aber sowieso nicht, was im Gesetz steht. Das ist der Polizei regelmäßig egal. Es zählt, was man sich durch laut und anstrengend sein (oder nett fragen) erkämpft. Du solltest, wenn dir deine Rechte verweigert werden, so gut du kannst auf ihnen bestehen. Wenn die erste Person richtig Stress schiebt, bekommen es die nächsten 19 vielleicht, ohne es sich erkämpfen zu müssen.

Wichtig ist vor allem die Aussageverweigerung. Die Polizei wird dir vielleicht erzählen, dass sowieso schon alles klar ist. Dass deine Genossis alles ausgeplaudert haben und sie nur noch deine Bestätigung brauchen. Dass Aussageverweigerung es nur schlimmer macht. Dass du leichter davon kommst, wenn du jetzt aussagst. Nichts davon stimmt. Du solltest dich in keinem Fall zu einer Aussage hinreißen lassen. Alles, was sich vielleicht lohnen könnte, auszusagen, kannst du auch noch später schriftlich oder vor Gericht nach eingehender Rücksprache mit einem Anwälti tun, wenn du unbedingt willst.

Vielleicht fängt die Polizei auch ein Gespräch übers Wetter an. Oder über deine Eltern. Oder deine Motivation für das alles (“Ich finde Klimaschutz ja auch wichtig, aber doch nicht so. Warum machst du das eigentlich?”). Sie redet über vermeintlich belanglose Informationen, bloßer Small-Talk. Und bevor du dich versiehst, seid Ihr bei der Aktion. Die trainieren Verhörtechniken. Es gibt deshalb keine harmlosen Gespräche, keine für sie nutzlose Info. Sagt nichts, und Ihr seid auf der sicheren Seite.

Von einem weiteren Recht solltest du auf jeden Fall auch Gebrauch machen: Dem Anruf. Mit dem kannst du beim EA anrufen. Der EA wird dir die folgenden Fragen stellen:

  • Was ist deine EA-ID-Nummer/dein Pseudonym?
  • Was wird dir vorgeworfen? (Wichtig:Nicht: Was hast du getan? Du solltest in keinem Fall beschreiben, was du getan oder nicht getan hast, sondern nur den rechtlichen Vorwurf nennen, z.B. Nötigung)
  • Wie geht es dir gerade? Brauchst du irgendwas?
  • Weißt du, wann du wieder raus kommst?
  • Wo bist du gerade?
  • Weißt du, was die Polizei weiter mit dir vor hat? (ED-Behandlung, Gewahrsamsprüfung, etc.)
  • Hast du noch irgendwelche rechtlichen Fragen an uns?

Du solltest den EA das Gespräch führen lassen. Damit vermeidest du, dass du dich versprichst und den Bullen, die zuhören werden, Infos zuspielst.

3. Sonderfall: U-Haft

Untersuchungshaft bedeutet, dass du bis zur Verurteilung (und je nach Einzelfall bis zur Rechtskraft der Verurteilung) in den Knast gesteckt wirst. Das Verfahren geht dann zwar auch deutlich schneller, aber das bedeutet trotzdem ein paar Monate Knast direkt im Anschluss an die Aktion. U-Haft gibt es (§§ 112ff. StPO)

  • bei besonders schweren Vorwürfen, z.B. Mord, oder
  • bei Fluchtgefahr (d.h. man entzieht sich dem Verfahren) und dringender Tatverdacht mit hinreichender Schwere der Tat, oder
  • bei Verdunklungsgefahr (d.h. man vernichtet Beweismittel)  und dringender Tatverdacht mit hinreichender Schwere der Tat

Wenn wir Personalien verweigern und dann nicht sofort identifiziert werden, liegt regelmäßig Fluchtgefahr vor. Einen dringenden Tatverdacht gibt es meistens auch, die Polizei sieht uns ja, wenn sie uns räumt.

Ob wir in U-Haft kommen, hängt dann von der Schwere der Tat ab. Bei den meisten Vorwürfen, die wir kriegen, ist das regelmäßig ausgeschlossen. Für eine Sitzblockade mit Personalienverweigerung ist das ziemlich unwahrscheinlich. Komplett ausgeschlossen ist es aber nicht. V.a. im Osten passiert es manchmal, dass uns rechtsradikale Richter_innen für Nichtigkeiten in U-Haft stecken.

Grundsätzlich gilt aber, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr wegfällt, wenn du Personalien verweigerst.

Wenn U-Haft im Raum steht, wirst du aus der Gesa zum Amtsgericht gebracht. Dort findet dann eine sog. Haftprüfung statt. Bei der herrscht Anwaltszwang, d.h. dir wird zwingend ein Anwälti beigeordnet. Im Idealfall organisiert der EA dir eins. Wenn nicht, kriegst du irgendein random Anwälti aus der Stadt, das das Gericht dann beiordnet. Du kannst bis zum Ende der Haftprüfung problemlos Personalien angeben und damit die U-Haft abwenden, wenn sich im Laufe der Haftprüfung abzeichnet, dass die Tat schwer genug gewesen sein soll. Danach geht das natürlich auch noch, aber du kommst trotzdem erstmal für ein paar Tage in den Knast, bis eine zweite Haftprüfung anberaumt wird.

4. Care

Räumungen und andere Aktionen können traumatisieren. Teils richtet die Polizei ihre Strategie auch darauf aus, uns als Bewegung möglichst viel psychische Krankheiten zuzufügen (vgl. z.B. die Aussagen von Dirk Weinsbach (Polizeipräsident Aachen) zur Hambi-Räumung).

Wir als Bewegung müssen damit irgendwie umgehen. Dieser Reader hat nicht den Anspruch, euch vollständig auf den Umgang damit vorzubereiten. Wir möchten aber folgende Hinweise geben:

  • Trauma und postraumatische Belastungsstörungen isolieren. Achtet aufeinander und bleibt in Kontakt.
  • Redet miteinander. Reden hilft meistens.
  • Wenn jemand mit euch reden über deren Räumungserlebnisse reden will, ist es okay für euch, nein zu sagen, wenn Ihr gerade nicht wollt oder könnt. Wenn Ihr zusagt, dann ist eure Aufgabe in dem Gespräch vor allem Zuhören. Die Person will in neun von zehn Fällen keine nützlichen Tipps und erst recht keine Schuldzuweisungen. Eure Aufgabe ist in dem Fall primär zuhören.
  • Lest euch zu dem Thema ein und vernachlässigt es nicht.

Von uns wird es ein Out Of Action-Zelt am Wald geben. Out of Action ist eine Struktur, die dir hilft, die Erlebnisse der Räumung zu verarbeiten, und ggf. professionelle Hilfe vermittelt.

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