Input einer Einzelperson ausm Dieti:
Kollektive Verantwortung und nervige WG Gespräche
Damit anarchistische Gemeinschaften und autonome Orte
funktionieren können, braucht es kollektive Verantwortung. Aber
was ist das überhaupt und warum funktioniert sie oft nicht in
Wäldern?
Wir alle kennen das, Menschen räumen nach dem Essen nicht
auf, überall liegt dreckiges Geschirr, Müll und Essen rum, das
schlecht wird und Tiere anlockt. Die Verantwortung dieser Repro
Arbeit bleibt dann bei ein paar wenigen hängen, wodurch oft
patriarchale Muster reproduziert werden.
Ich möchte hier keine Beschuldigungen aussprechen oder eine
Moralpredigt halten, ich habe genug von solchen WG
Gesprächen, die dann zu nichts führen.
Ich möchte mit diesem Text zuerst einmal erklären, was
kollektive Verantwortung bedeutet und warum wir sie für
funktionierende autonome Strukturen brauchen. Außerdem
werde ich analysieren, warum uns durch die Sozialisierung in
der patriarchal kapitalistischen Eigentumsgesellschaft das
Verständnis für kollektive Verantwortung fehlt.
Doch zuerst eine
kurze Erklärung von den Begriffen Besitz und Eigentum:
Besitz bedeutet, das du einen Gegenstand aktiv in deinem Alltag
benutzt z.B. Werkzeug zum arbeiten, ein Instrument zum
musizieren, das Haus in dem du wohnst. Der Gegenstand hat für
dich einen klaren Nutzen und ist, je nachdem, sogar wichtig für
dein Überleben. Eigentum hingegen ist ein Konzept, das
Menschen als Folge von Geld erfanden und zur Privatisierung
von Waren, Gebäuden und Ländereien führte. Das hat dazu
geführt, dass Menschen Dinge ihr Eigentum nennen, obwohl sie
diese Dinge gar nicht oder nur selten selbst nutzen.
Nehmen wir als Beispiel einen Kapitalisten, der eine Fabrik sein
Eigentum nennt. Er bezahlt Menschen dafür, in der Fabrik zu
arbeiten. Obwohl er dort selbst nicht arbeitet, streicht er trotzdem
am meisten Geld ein. Er nutzt die Fabrik selbst nicht aktiv, aber
nach dem Eigentumsprinzip gehört die Fabrik ihm. Das
legitimiert sein “Recht“ davon zu profitieren, obwohl die Fabrik
auch ohne ihn laufen würde.
Das meinte Proudhon mit seinem bekannten Zitat:,,Eigentum ist
Diebstahl.“
Anarchist*innen lehnen den Begriff Eigentum deswegen ab, weil
es ein Konzept der ungerechten Verteilung und Ausbeutung ist.
Wir gehen davon aus, dass Menschen nur das besitzen sollten,
was sie benutzen.
Die Verantwortung des Nutzungsrechts
In autonomen Orten wie Waldbesetzungen gehen wir deswegen
von Commons und kollektivem Besitz aus.
Die Strukturen, die Werkzeuge, das Essen etc. gehören allen
Menschen, die dort leben, das heißt, alle haben ein Recht
darauf, diese zu benutzen. Mit dem Recht, etwas zu benutzen,
kommt aber auch die Verantwortung, sich darum zu kümmern,
die Dinge, die benutzt werden, zu pflegen, zu versorgen und
auch wieder aufzuräumen. Wenn das nicht getan wird, bleibt
diese Arbeit an der nächsten Person hängen, die den
Gegenstand nutzen will, falls sie den Gegenstand überhaupt
findet. Das führt nicht nur zur Frustration, sondern schadet
unseren Strukturen. Unachtsamer Umgang führt zu unnötigem
Verschleiß, Motivation und Zeit gehen verloren oder Arbeit kann
überhaupt gar nicht erst begonnen werden, weil die Werkzeuge
nicht auffindbar sind. Menschen wollen sich in eine Struktur
einbringen, finden aber nur einen unordentlichen Wald vor,
wodurch sie sich unwohl fühlen und den Ort wieder verlassen.
Es kommt zu Streit, Spaltung in der Gemeinschaft, es geht
extrem viel Zeit, Energie und Potential verloren. Das ist furchtbar
schade.
Die Verantwortung liegt bei uns allen, eine funktionierende
Gemeinschaft zu gestalten, deswegen ist es nötig, dass wir uns
alle einbringen und auf die Bedürfnisse von anderen, aber auch
uns selbst hören. Klar kommt es immer irgendwie zu Konflikten,
aber vieles lässt sich vermeiden.Dazu gehört eben auch, den inneren Faulpelz zu überwinden
und Dinge wieder aufzuräumen, bevor sie vergessen werden
oder sich andere daran stören.
Klar passiert es mal, dass etwas vergessen wird, weg zu
räumen, aber das kann keine Ausrede sein, wenn es andauernd
passiert.
Gesellschaftsordnung überwinden?
Öfters hab ich auch das Argument gehört, dass Ordnung und
Sauberkeit ein Konzept der Gesellschaft sind, die es zu
überwinden gilt.
In diesem Kontext kann ich dem nicht zustimmen und dieses
Argument klingt viel eher nach dem Versuch, die anerzogenen
patriarchalen Muster mit revolutionären Theorien zu
entschuldigen.
Es liegt im Interesse von uns allen, die an kollektiven Orten
leben, funktionierende, gepflegte Strukturen vorzufinden.
Ansonsten muss an einem Ort immer wieder von vorne
angefangen werden und ganz viel Arbeit ins Aufräumen und klar
Schiff machen gesteckt werden, um danach erst den Ort richtig
nutzen zu können. Das ist anstrengend, nervig, erzeugt mehr
Arbeit, ist frustrierend und hat nichts damit zu tun, die Ordnung
der Gesellschaft zu überwinden, vielmehr hindert es uns daran.
Sozialisierung durch das Eigentum
Aber warum fällt es so vielen schwer, diese Verantwortung zu
übernehmen? Warum kommt es immer wieder zu diesen
frustrierenden Momenten?
Wir sind in einer Gesellschaft der Privatisierung groß geworden.
Wir haben Wohnungen, Räume und Gegenstände, die
Individuen gehören, die meistens nur von der besitzenden
Person selbst genutzt und nicht geteilt werden.
Wenn du mal nicht aufräumst in deiner Wohnung, stört das
dann niemanden außer dir selbst.
Alltagsgegenstände kannst du dahin legen, wo es dir passt, weil
du dich erinnerst, wo du sie hingelegt hast, kein anderer Mensch
muss sie dort finden.
Das Konzept von kommunal genutzten Orten kennen wir im
Kapitalismus nur selten. Die einzigen Orte, die mir einfallen, die
dem nahe kommen sind öffentliche Verkehrsmittel und
öffentliche Toiletten.
In den Öffis wird oft Müll liegen gelassen und zu öffentlichen
Toiletten muss ich glaub ich nichts sagen, die sehen meistens
echt furchtbar und verschmutzt aus, wenn sie nicht regelmäßig
geputzt werden.
Eine andere Situation, die dem Wald Kontext am nächsten
kommt, sind wohl Wohngemeinschaften. Da können
wahrscheinlich alle Menschen, die schon mal mit anderen
zusammen gewohnt haben, ein Lied von Streitereien übers
Putzen singen.Viele sind es also schlicht und einfach nicht gewohnt,
Verantwortung für kommunal genutzte Orte zu übernehmen.
Sonst machen das ja schon andere Menschen weg, die dafür
viel zu schlecht oder gar nicht bezahlt werden.
Außerdem lernen wir nicht, auf Bedürfnisse anderer Personen
am gleichen Wohnort zu achten, weil wir nicht gewohnt sind, zu
teilen.
Patriarchale Erziehung
Wir lernen keinen Umgang mit kommunalen Orten. Dadurch
kommt es zu einer Spaltung zwischen Menschen, die sich
verantwortlich fühlen und Menschen, die das eben nicht tun.
Diese Spaltung kommt unter anderem von der Sozialisierung.
Menschen, die weiblich sozialisiert werden, lernen oft durch alte
patriarchale Muster, dass es ihre Aufgabe ist, die Putz- und
Aufräumarbeiten (Care Arbeit) zu übernehmen. Männlich
sozialisierte Menschen bekommen durch die Eltern vorgelebt,
dass sie das Recht haben, von weiblich sozialisierten Personen
umsorgt zu werden. Mutter und Ehefrau sind da, um sich um sie
und ihre alltäglichen Bedürfnisse zu kümmern.
Damit kommt es dann dazu, dass dann auch in
Waldbesetzungen dieses patriarchale Muster reproduziert wird.
Aber das kann natürlich von Individuum zu Individuum
unterschiedlich sein, da manche eben doch anders sozialisiert
wurden, diese Sozialisierung bereits überwunden haben oder
andere Gründe haben, sich verantwortlich oder eben nicht zu
fühlen.
Es gibt auch Menschen, die einfach nicht in der Lage sind, diese
Verantwortung zu übernehmen, weil sie unter einem Burn-out,
Depressionen oder anderen psychischen Krankheiten leiden.
Diese Menschen können nicht mithelfen und das ist okay. Ihnen
sollten keine Vorwürfe, sondern Verständnis entgegengebracht
werden.
Aber wie finden wir nun einen guten Umgang damit?
Der erste Schritt ist mit dem Lesen dieses Textes bereits getan.
Es ist wichtig, dass wir an solchen Orten in den Austausch
darüber kommen, wie wichtig kollektive Verantwortung ist, auch
weil, aus den vorher beschriebenen Gründen, Menschen oft
nichts mit dem Begriff anfangen können und nicht den
Unterschied zwischen Besitz und Eigentum kennen.
Mit Menschen, die keine Verantwortung für Care Arbeit
übernehmen, kann es leicht zu emotionalen Diskussionen
kommen.
Das ist verständlich, da die Menschen, die sich einbringen und
Verantwortung übernehmen, sich ausgenutzt fühlen und das
Gefühl bekommen, dass ohne sie hier nichts läuft.
Aber selten führt das dazu, dass die Menschen die
Verantwortung nicht übernehmen wollen oder es manchmalauch nicht können damit erreicht werden. Den eine emotionale
Diskussion führt dazu das sich Menschen persönlich angegriffen
fühlen, was kein gutes Stadium ist um die internalisierten Muster
zu hinterfragen.
Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, klar zu machen,
welche Emotionen diese Untätigkeit auslöst und Wut oder
Ähnliches zu zeigen. Es gilt auf der Gegenseite auch zu lernen,
sich dadurch nicht direkt angegriffen zu fühlen, sondern
insbesondere emotionale (im Gegensatz zu rationaler) Kritik
anzunehmen!
Weil das zwei sehr gegensätzliche Perspektiven sind, sollten bei
solchen Diskussionen am besten Menschen mit dabei sein, die
keine starken Emotionen mit der Situation verbinden, um die
Lage, falls nötig, zu entschärfen. Das Ziel sollte sein, beim
Austausch auf Deeskalation zu setzen.
Oft mangelt es Menschen an Verständnis was es bedeutet Care
Arbeit zu machen bzw. das es keine Arbeit ist die von selbst
geschieht und das es an uns allen liegt diese Arbeit zu
übernehmen.
Im Kleinen reproduzieren wir die Normen, die wir gelernt haben.
Wenn wir daraus ausbrechen wollen, müssen wir uns selbst von
der Unterdrückung des Patriarchats befreien, da wir alle darunter
leiden, auch wenn wir es oft nicht merken. Niemand ist frei, bis
nicht alle frei sind.
So findet bei Menschen, die nicht gewohnt sind, Care Arbeit zu
übernehmen, oft eine Externalisierung statt, das Problem wird im
Außen verorten:„Das ist nicht mein Problem.“ „Das macht schon
jemand anderes.“ Mit dieser Haltung koppelt sich ein Mensch
von sich selbst und der Gemeinschaft ab. Einer
Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen
Verantwortung wird ausgewichen, wodurch es zur
Unterdrückung von Emotionen kommt.
Wir wollen Kollektive erschaffen. Wenn wir selbst davon
ausgehen, alles selbst zu tun, fragen wir nicht nach Hilfe, haben
den Anspruch, alles ohne Hilfe schaffen zu müssen.
Gemeinschaft lebt davon, die eigene Hilfe anzubieten und Hilfe
anzunehmen.
Repro Arbeiten sind elementare Aufgaben, auf die alles aufbaut.
Sie sind wie Körperhygiene, nur für die Gemeinschaft. Sie
sollten Teil des eigenen Tuns sein, weil wir sonst an unseren
eigenen Wurzeln sägen. Diese Arbeit zu tun ist Wertschätzung
und Demut zu zeigen für die Gemeinschaft und auch sich selbst.
Wir sind es wert, eine funktionierende Gemeinschaft zu sein, ich
bin es wert, Teil des Kollektivs zu sein, der Teller ist es wert
geputzt, anstatt vergammelt weggeworfen zu werden. Alles
hängt miteinander zusammen, wir sind unser eigenes
Ökosystem und sind deswegen voneinander und unseremMaterial abhängig, wenn wir funktionieren wollen. Ich habe die Kraft der Gemeinschaft zu helfen.
Weil diese Arbeit so wichtig ist, gehört es dazu, wertschätzend
zu sein, wenn Menschen diese Arbeit übernehmen. Dankbar zu
sein, wenn Aufgaben erledigt werden und zu zeigen, dass die
Arbeit gesehen wird. Das führt zu einem schöneren Umgang
miteinander und kann unfassbar motivieren. So miteinander zu
kommunizieren ist unfassbar wichtig, weil diese Wertschätzung
in der Gesellschaft oft fehlt. „Das ist doch ihr Job, da muss ich
nicht auch noch freundlich sein!“
Es ist Aufklärungsarbeit, die leider auch seine Zeit brauchen
kann, da Menschen nicht von heute auf morgen aus ihren
gewohnten Mustern aussteigen.
In einem ersten Gespräch kann der Ansatz sein, ohne Vorwürfe
auszusprechen, die Menschen auf die Arbeit anzusprechen und
zu fragen, was sie daran hindert, sich an der Care Arbeit zu
beteiligen. Darüber kann dann in einen Austausch über
Feminismus, Patriarchat, Privilegien und Transformation
eingestiegen werden, um diese Muster zu durchbrechen.
Danach kann eine Empfehlung von Feministischen Quellen
eurer Wahl zur weiteren Auseinandersetzung für diese Personen
mit den Theorien geteilt werden.
Falls du einer dieser Menschen bist, kannst du dir natürlich auch
selbst diese Frage stellen, was hindert dich daran, Care Arbeit
zu übernehmen?
Wenn du dich mit Feministischer Theorie auseinandersetzen
möchtest, aber nicht weißt wo du anfangen sollst, kann ich dir
das Buch “Feminismus für alle“ von Bell Hooks oder den
Podcast “Feminismus mit Vorsatz“ (Online kostenlos abrufbar)
ans Herz legen.
Natürlich muss auch der Wille da sein, die eigene Position zu
hinterfragen und die Einsicht, dass Care Arbeit von allen
übernommen werden muss, wenn die Gemeinschaft ohne
toxisch patriarchale Strukturen funktionieren soll. Wenn dieser
Wille nicht da ist, dann hilft wohl auch alles nicht, denn die
Initiative, sich zu ändern, muss auch von innen herauskommen
und nicht nur von der Erwartung an andere, die eigenen
Privilegien erklärt zu bekommen.